Publikationen - Brigitte und Rolf-Jürgen Spieker - Schweppenstedde

 

 

 

 

Der Wiedenbrücker Altarbauer Heinrich Schweppenstedde (1865-1943)


Abb. 1. St. Peter und Paul Bad Driburg: Marienaltar (ohne Mensa), 1896. Ein typisches Beispiel für die Zusammenarbeit des Altarbauers Schweppenstedde mit dem Bildhauer Anton Mormann und dem Maler Georg Goldkuhle. Den Auftrag für den Marienaltar erhielt Schweppenstedde über Mormann und im Wettbewerb mit dem Paderborner Bildhauer Anton Hellweg. Dessen Konkurrenzangebot unterbot er um 1.000 Mark, ein Viertel des Gesamtpreises .
Ausbildung und frühe Selbstständigkeit

Gerhard Heinrich Schweppenstedde wurde am 7. April 1865 in Wiedenbrück als zweites von drei Kindern des Tagelöhners Stephan Schweppenstedde und seiner Frau Elisabeth Schnippe geboren. Als seine Mutter 1868 nach nicht einmal sieben Jahren Ehe erst 36-jährig starb, blieb der Vater mit drei kleinen Kindern zurück, eine schwierige Situation für den Vater und seine Kinder Maria (fünf Jahre alt), Heinrich selbst (drei Jahre alt) und das einjährige Baby Wilhelm. Der Vater wohnte damals mit seiner älteren, früh verwitweten Schwester Elisabeth zusammen, die selbst zwei noch nicht erwachsene Kinder hatte. Daher ist anzunehmen, dass sie sich gegenseitig geholfen haben. Dass dann Heinrich Graflage, der zweite Ehemann seiner Schwester, der Taufpate Heinrichs wurde, war sicher ein weiteres Zeichen geschwisterlicher Verbundenheit.
Mit 14 Jahren ging der junge Heinrich in seiner Heimatstadt zu Theodor Brockhinke in eine vierjährige Lehre als Kunsttischler, Ornamentiker und Altarbauer mit anschließender sechsjähriger Gesellenzeit. Brockhinke war seit mehr 10 Jahren selbstständig und inzwischen ein erfahrener, anerkannter Altarbauer. Bei ihm lernte Schweppenstedde die verschiedenen Holzarten und Methoden der Holzbearbeitung kennen. Mindestens ebenso wichtig für einen Altarbauer war das Zeichnen und Schnitzen von Maßwerk-Ornamenten oder auch kleineren figürlichen Motiven, etwa für die Abschlusswangen eines Chorgestühls. Dazu befinden sich in Schweppensteddes Nachlass verschiedene Übungen.

Abb. 2+3. Ornamentale Motive und Maßwerk als Verzierung von Chorgestühlen: St. Franziskus Bochum-Riemke (li / Mitte), 1896 / St. Marien Herne Baukau (re), ca. 1909.

    
Abb. 4-6. Figuren als Verzierung der Seitenteile („Wangen“) von Chorgestühlen. Löwe und Drache: St. Martin Bad Lippspringe (li / Mitte), 1898 /Drache: St. Franziskus Bochum-Riemke (re), 1896.
Die vielseitige Ausbildung zum Altarbauer erforderte räumliches Vorstellungsvermögen und Formgefühl für die Entwürfe von Altären, Kanzeln und weiteren Ausstattungsstücken für Kirchen. Sie schoss auch Maßstab-Berechnung, das Zeichnen von Grundrissen und Aufrissen mit Vorder- und Seitenansichten ein.

Abb. 7. St. Marien Herne-Baukau: Neugotisches Chorgestühl von 1909 (nicht erhalten). Entwurf Schweppensteddes mit Vorder- und Seitenansicht und integrierter Sakristei-Tür (Repro aus dem Nachlass).

Ein Chorgestühl besteht aus Sitzbänken an den Längsseiten des Chorraums mit integrierten Rückwänden (Vgl. ausführlicher S. …). Schweppensteddes Entwurf zeigt es in Vorderansicht mit der Türöffnung zur Sakristei, dazu eine Seiten- und Detailansicht eines Seitenteils. Solche Seitenteile sind in Baukau als Betbänke noch vorhanden (vgl. S. …), während das Gestühl selbst nicht erhalten ist.

Ein Altarbauer musste auch über kunstgeschichtliche Kenntnisse über die verschiedenen Stilepochen verfügen, besonders über Romanik, Gotik und Barock. In allen drei Stilen hat Schweppenstedde Altäre entworfen, einen Schwerpunkt bildete aber die Neugotik. Stilübungen in den verschiedenen Formen neugotischen Maßwerks werden in Wiedenbrücker Werkstätten zu den Pflichtübungen gehört haben, selbstverständlich auch zur Ausbildung bei Theodor Brockhinke. In Schweppensteddes Nachlass befinden sich zahlreiche fein gezeichnete filigrane Entwürfe von Altaraufbauten. Er wäre sicherlich nicht so schnell als ebenbürtiger Partner von Mormann und Goldkuhle akzeptiert worden, hätte er diese Fertigkeiten nicht beherrscht.
Nach der Lehre verzichtete Schweppenstedde wohl auf die übliche Wanderschaft , vermutlich wurde sein (sicher bescheidener) Gesellenlohn für den Unterhalt seiner Familie gebraucht. Sein Vater wird als Tagelöhner keine Reichtümer verdient haben, und seine Geschwister waren auch erst 20 (Maria) und 16 (Wilhelm) Jahre alt. Während der sechsjährigen Gesellenzeit konnte er seine Fähigkeiten und Kenntnisse vertiefen. Als erfahrener Geselle wird er in den 1880er Jahren an manchen Großaufträgen Brockhinkes mitgearbeitet haben, etwa an den Altären für die Propsteikirche St. Peter und Paul in Bochum, für St. Nikolaus in Büren, St. Ewaldi in Dortmund-Aplerbeck und für die drei Kirchen St. Laurentius in Erwitte, St. Jakobus d. Ä. in Lennestadt-Elspe und St. Nicolai in Lippstadt. Während dieser Jahre wird er auch Brockhinkes Geschäftspartner Mormann und Goldkuhle kennen gelernt haben.
Die bei seinem Meister gelernte handwerkliche und künstlerische Kompetenz wandte er - außer bei Objekten für Kirchen - auch bei Möbeln für den eigenen Bedarf an. Sie wirken durch ihre schöne Oberflächenbehandlung, ihre kunstvollen Ornamente und gedrechselte Säulen und einen harmonischen, symmetrischen Aufbau. Und sie sind darüber hinaus so gut verarbeitet, dass sie noch heute in der Familie gepflegt und verwendet werden. 


Abb. 8. Schrank, reich mit Ornamenten, auch hier mit gedrechselten Säulen verziert. Familienbesitz

Abb. 9. Gebrauchsmöbel: Tisch mit Stühlen, mit Ornamenten und gedrechselten Stuhl- und Tischbeinen verziert. Familienbesitz.

Die Zusammengehörigkeit wird durch verwandte bzw. gleiche Verzierungen betont.


Abb. 10. Detail eines Schrankes mit integrierter Sitzgruppe,

 

 

Nach zehnjähriger Ausbildung machte sich Schweppenstedde mit 24 Jahren 1889 in Wiedenbrück als Altarbauer mit einer „Bildhauerei und Kunsttischlerei. Specialität Kirchenausstattungen“ selbstständig. Der Zeitpunkt für die Neugründung einer zusätzlichen dritten Altarbauerwerkstatt war günstig. Die seit 1854 bestehende Firma des Kunsttischlers Anton Goldkuhle , der allgemein als Begründer des Wiedenbrücker Kunsthandwerks gilt, war schon seit den 1880er Jahren in finanziellen Schwierigkeiten. Und die Werkstatt seines Meisters Theodor Brockhinke, der im August 1890 verstarb, war eine Zeitlang vakant . Erst 1892 trat der eigentlich als Lehrer ausgebildete Anton Becker nach seiner Heirat mit der von Brockhinkes adoptierten Tochter Maria als Nachfolger in die Firmenleitung ein. Von da an nannte er sich Becker-Brockhinke, um die Kontinuität der angesehenen Werkstatt zu betonen. Zugleich fiel die Firmengründung in die Blütezeit der sogenannten „Wiedenbrücker Schule“, als in einem Zeitraum zwischen 1854 und 1920 mehr als 25 Werkstätten für sakrale und profane Kunst erfolgreich nebeneinander existierten. ‚Schule‘ wird hierbei als lose Verbindung von gleichgesinnten Künstlern verstanden, die miteinander eine Zeitlang lebten und arbeiteten.

Nach einem trotz allem schwierigen Anfang (Mormann, 1891: „Schweppenstedde hat viel Sorge im Geldbeutel“ ) gelang es dem jungen Werkstattinhaber, sich sehr schnell als Geschäftspartner des Bildhauers Anton Mormann (Werkstatt in Wiedenbrück seit 1877) und des Malers Georg Goldkuhle (Werkstatt in Wiedenbrück seit 1870) zu etablieren. Diese beiden schon seit Jahren überregional bekannten renommierten Künstler müssen die Arbeit des jungen Altarbauers sehr geschätzt haben, denn die drei bildeten seitdem ein festes, gut funktionierendes Team. Das schloss nicht aus, dass Bildhauer und Maler auch weiter eng mit Becker-Brockhinke arbeiteten. Für die ersten zehn Jahre von Schweppensteddes Selbstständigkeit sind trotz schwieriger Quellenlage mindestens 50 gemeinsame Aufträge bekannt, überwiegend Haupt- und Seitenaltäre, gelegentlich auch Kanzeln. Chorgestühle, Orgelprospekte oder Kirchenbänke waren oft eine Einzelarbeit des Altarbauers.


Abb. 10. Wohn- und Werkstattgebäude. Hist. Foto: Familienbesitz.


Große Hovest, Becker-Brockhinke, S. 105.

Stephan Bernard Schweppenstedde (20.6.1825 Oelde - 6.7.1895 Dortmund) und Elisabeth Schnippe (2.4.1832 Varensell - 28.9.1868 Wiedenbrück). Heirat 5.11.1961 in St. Aegidius Wiedenbrück. Kinder: 1. Maria Schweppenstedde (*16.5.1863) / 2. Gerhard Heinrich (7.4.1865-18.1.1943), Adresse Wiedenbrück / 3. Friedrich Wilhelm Schweppenstedde (*11.8.1867). Beim Tod (s. Anzeige) war H. Schw. Bruder und Onkel

Elisabeth Schweppenstedde (*5.5.1817), Dienstmagd, 26.10.1847 Heirat mit dem Postillion Jacob Friedrich Stroth (1818-1859), Berufsangabe bei seinem Tod: Tagelöhner. 2 Kinder: Heinrich (*1848) und Maria Anna (*1849). 2. Heirat 4.2,1862 mit Knecht Heinrich Graflage I(*1817/18). Dass Heinrichs Vater Stephan bei seiner Schwester wohnte, geht aus dem Sterbeeintrag in St. Aegidius hervor.

Genaueres ist nicht bekannt, da die Meldedaten in Wiedenbrück erst 1889 beginnen.

Anton Goldkuhle (1827-1906): Kunsttischler, Altarbauer. Ab 1854 selbstständig in Wiedenbrück, gilt als Begründer des Wiedenbrücker Kunsthandwerks.

Theodor Brockhinke (1839-1890), starb am 7. August 1890, laut Sterbeeintrag in den Kirchenbüchern der Pfarrei St. Aegidius an Wassersucht, damals eine häufig angegebene Todesursache. Sein Schwiegersohn Anton Becker (1862-1945), als Lehrer ausgebildet, übernahm die Firma mit der Heirat mit der von Brockhinkes adoptierten Tochter Anna Maria Christina Lüffe (1864-1920; Heirat 23.2.1892).

Hoffmann, Christiane: Wiedenbrücker Schule Museum, das münster 3/2012, S. 175-180.

Anton Mormann an Pfarrer Josef Dettmer (1844-1918; Pfarrer in Herford 1881-1892), 16.8.1891. Pfarrarchiv St. Johannes Baptist Herford B 0189.

 

 
 

 

 

 

Foto+Texte-copyright: Brigitte und Rolf-Jürgen Spieker

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